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Mitten in das Sommerloch platzte ein braunes, possierliches Tier, das nur selten jemand zu Gesicht bekommt: der Feldhamster. Mit der Schlagzeile "Feldhamster contra Biozentrum" berichteten Presse, Funk und Fernsehen im August ausführlich über eine ungewöhnlich große Kolonie dieser vom Aussterben bedrohten Tiere auf dem Gelände der Universität Göttingen. Naturschützer schlugen Alarm, als umfangreiche Bauarbeiten auf dem Hamsterareal begannen. Was dann folgte, ist für Dr. Hans-Jürgen Thorns nicht etwa eine harmlose Posse, sondern ein massiver öffentlicher Verstoß gegen bestehendes deutsches und europäisches Naturschutzrecht. Über seine Erfahrungen schreibt er im folgenden "Naturschutz-Krimi".
Hamster gegen ÖPNV-Straße
Der Autor Dr. Hans- |
Feldhamster contra Biozentrum
Im Zuge der Diskussion über den Weiterbau der Straße wurde bekannt, dass auf dem von der Trasse durchschnittenen und von Feldhamstern besiedelten Areal weitere Instituts-Neubauten geplant sind: Auf dem südlichen, durch die Straße abgetrennten Teilstück sollte noch im Herbst 98 mit dem Bau des Zentrums für molekulare Biowissenschaften (Biozentrum) begonnen werden. Auf dem nördlichen, größeren Teil des Geländes sind für die nächsten Jahre weitere Bauvorhaben geplant. Die schönen Pläne würden nun möglicherweise von ein paar Feldhamstern durchkreuzt.
Die Gefahr rief sofort ranghohe Politiker und Verwaltungsfachleute auf den Plan. Vor versammelter Presse und laufenden Fernsehkameras machten sich Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann und Braunschweigs Regierungspräsident Peter Jürgen Schneider auf der Hamsterwiese kundig und fanden auch sehr schnell eine Lösung des Problems. Auf der größeren, erst für eine spätere Bebauung vorgesehene Teilfläche der Hamsterwiese dürften die Tiere zunächst weiter siedeln. Das Institut für Wildbiologie der Universität Göttinger sollte währenddessen ihre Lebensweise erforschen. Mit dem Bau des Biozentrums allerdings, für das bereits eine gültige Baugenehmigung vorläge, werde wie geplant im Oktober 98 begonnen, so Minister Oppermann. Schließlich habe dieses Projekt eine große Bedeutung für den Standort Göttingen. Die auf dem Baugrundstück lebenden Feldhamster würden tierschutzgerecht umgesiedelt.
Regierungspräsident Schneider ging sogar noch weiter und erklärte, dass man das Biozentrum selbst dann bauen würde, wenn dort eine noch größere Anzahl Feldhamster lebte. Nicht erwähnt wurde von den Herren aus Braunschweig und Hannover, dass am Vormittag des selben Tages die ausgewiesene Feldhamster-Expertin des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie die Hamsterwiese besichtigt hatte und von einer Umsiedlungs-Aktion dringend abgeraten hatte. Es sollte sich sehr bald herausstellen, dass der Regierungspräsident und der Wissenschaftsminister es in ihren Statements mit der Wahrheit nicht ganz so genau genommen hatten. Denn als der BUND gegen die angeblich vorliegende Baugenehmigung für das Biozentrum Widerspruch einlegen wollte, stellte sich heraus, dass diese entgegen den Äußerungen der hohen Herren noch gar nicht vorlag. Vielmehr musste das Bauvorhaben von den Fachbeamten der Bezirksregierung noch geprüft werden, einschließlich einer Abwägung der naturschutzrechtlichen Belange. Man darf sich vorstellen, welcher Spielraum der oberen Fachbehörde nach den öffentlichen Festlegungen des Ministers und des Regierungspräsidenten da noch bleibt.
Nach dem Stelldichein auf der Hamsterwiese wurde der bereits früher hinzugezogene Gutachter mit der genauen Zählung der Hamster beauftragt. Zur Freude der Bauplaner konnte er auf dem für den Bau des Biozentrums vorgesehenen Teil des Areals keine bewohnten Hamsterbauten (mehr) feststellen. Folgerichtig konnten nun auch die Fachbeamten der Bezirksregierung mit einigen Auflagen ihre Zustimmung zum Bau geben. Also alles in Ordnung und zum Wohle des Naturschutzes? Mitnichten! Bei der ersten Kartierung der Feldhamster zu Beginn der Straßen-Baumaßnahme waren auf dem entsprechenden Teil der Hamsterwiese sehr wohl mehrere bewohnte Hamsterbaue nachgewiesen worden. Wenn der behördlich beauftragte Gutachter auf dieser Fläche nun keine Hamster mehr vorfand, so zeigt dies überdeutlich, dass durch den Straßenbau nicht nur die auf der Trasse liegenden Hamsterbaue zerstört wurden, sondern auch die in der näheren Umgebung siedelnden Tiere vertrieben wurden. Mit diesem Ergebnis widerlegt der Gutachter seine eigene frühere Einschätzung: der Weiterbau der Straße gefährde nicht den Bestand der Population. Der Zustand "hamsterfreies Baugrundstück" ist somit unrechtmäßig herbeigeführt worden. Wenn die Naturschutzbehörden gegen die anschließende Bebauung dieses Grundstückes keine Einwände erheben, so zeugt dies von einem merkwürdigen Rechtsverständnis der Behörden. Und welche Möglichkeit bleibt den Verbänden? Im Gegensatz zum Bau der Straße kann der BUND hier nicht die unterlassene Verbandsbeteiligung einfordern. Das Biozentrum wird in mehreren Teilabschnitten genehmigt und gebaut, von denen jeder einzelne kleiner als 1000 m² sein wird, denn: Selbst wenn das Verwaltungsgericht für das Areal den Status des Außenbereichs akzeptiert, wäre bei solchen kleineren Bauvorhaben keine Verbandsbeteiligung vorgeschrieben. Also Klagerecht ade.
Fazit: In Niedersachsen ist es den Behörden offensichtlich möglich, sich über geltendes deutsches und europäisches Naturschutzrecht hinwegzusetzen, wenn ranghohe Politiker ein Prestigeprojekt durchsetzen wollen. Leider sah das Umweltministerium trotz mehrfacher Appelle der Verbände in der Hamstersache tatenlos zu und ließ durch einen Sprecher lediglich erklären, es gäbe keinen Handlungsbedarf. Vielleicht sollten sich die Naturschutzbehörden auf die Bedeutung des Wortes Naturschutz zurückbesinnen?
Von der Steppe ins Weizenfeld - der Feldhamster
Eigentlich ist er ein Steppentier, das sich im milden bis heißen Klima wohlfühlt. Dort lebt er im kniehohen Gras beziehungsweise im Boden darunter, in dem er ein ausgedehntes Gangsystem anlegt. In geräumigen Vorratskammern horten die Tiere meist mehrere Kilogramm Samen und Getreide für den Winter - das sprichwörtliche "hamstern". In Deutschland lebt der Feldhamster als Kulturfolger in den "Agrarsteppen" unseres Raumes, besonders gern in Weizenfeldern. Ein altes Hamstermännchen soll es in der norddeutschen Tiefebene einmal auf 35 Pfund gehorteten Weizen gebracht haben!
Waren die nachtaktiven, possierlichen Nager in den sechziger Jahren noch eine regelrechte Bauernplage, sind sie heute fast ausgestorben. Ein Grund: in der modernen Landwirtschaft werden die Felder schnell und gründlich abgeerntet und rasch umgebrochen. Die Hamster können nicht mehr genug Nahrung sammeln und verhungern. Auch die fortschreitende Flächenversiegelung und Zerschneidung der Lebensräume hat zum Aussterben der Hamster beigetragen. Innerhalb weniger Jahrzehnte sind die Populationen zusammengebrochen und der Feldhamster rutschte auf die Listen der besonders gefährdeten und geschützten Tiere. 1996 wurde er zum Tier des Jahres ernannt.
BUNDmagazin Niedersachsen 4/98 - Dr. Hans-Jürgen Thorns
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