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Mehr Hamster ins Feld

Der Feldhamster, in Europa einst so verbreitet wie kaum ein anderes Säugetier, steht vor der Ausrottung - weil er dem Menschen zu oft in die Quere kam. Ein bundesweit einzigartiges Zuchtprogramm soll dem nicht immer netten Nager jetzt das Comeback ermöglichen.

Das Loch im Acker ist nicht groß, aber auffällig. Es hat etwa sechs Zentimeter Durchmesser, und seine Wände sind merkwürdig glatt. Für Ulrich Weinhold ist der Fall sofort klar. "Ein typischer Hamsterbau", meint der Biologe, und lässt einen Stock in dem senkrechten Loch verschwinden. Nach einem knappen halben Meter stößt er auf Widerstand. "Wahrscheinlich hat der Bewohner von innen wieder zugemacht".

Weinhold freut sich. Es ist der erste Bau, den er an diesem kühlen Frühlingstag findet. Die umliegende Landschaft ist nicht gerade idyllisch: Monotone Ackerflächen am Rande eines Gewerbegebiets. Hundert Meter weiter rast dichter Verkehr auf der Autobahn 6, und am westlichen Horizont breitet sich die industriegeprägte Skyline Mannheims aus. Eine seltene Tierart würde man hier nicht vermuten. Doch der Schein trügt.

Ausgerechnet vor den Toren einer Großstadt lebt die wahrscheinlich letzte Feldhamster-Population Baden-Württembergs. Ulrich Weinhold ist für ihren Erhalt zuständig. Im Auftrag der Stadt Mannheim überwacht er den frei lebenden Bestand und leitet ein neues Zuchtprogramm im Heidelberger Zoo.

"Feldhamster sind Kulturfolger", erklärt der Experte. "Die Nähe des Menschen stört sie nicht. " In der Tat zeigen sich die Tiere ziemlich hart im Nehmen. Zum Überwintern graben sie sich bis zu zwei Meter tief ein, verschließen die Höhle mit Erde und verbringen so alleine bis zu sieben Monate in absoluter Dunkelheit. Ob der Bauer dann mit seinen Pflug über sie hinwegdonnert, ist ihnen herzlich egal. Hauptsache, es gibt genug zu Nagen in der Vorratskammer.

Der Staat half bei der Jagd
"Die Wintersterblichkeit liegt meistens bei 50 bis 60 Prozent und kann manchmal bis zu 80 Prozent betragen", sagt Weinhold. Schuld seien die Monokulturen der intensiven Landwirtschaft. Die Tiere finden oft nicht mehr genug Feldfrüchte für einen ausreichenden Wintervorrat.

Das war nicht immer so. Ursprünglich war der Feldhamster (Cricetus cricetus) ein osteuropäischer Steppenbewohner. Er fand mit dem Entstehen der Landwirtschaft auch weiter westlich erstklassige Lebensbedingungen. Im Rhein-Neckar-Raum ist er seit mindestens 2000 Jahren heimisch: Archäologen fanden Hamsterskelette in einem römischen Brunnen.

Bis in die siebziger Jahre waren Feldhamster ebenso verbreitete wie unerwünschte Ackerbewohner. Man betrachtete die meerschweinchengroßen Nager als schlimme Schädlinge und bekämpfte sie - staatlich subventioniert - mit Gaspatronen, Schlagfallen und anderem Tötungsgerät. Jährlich wurden so Millionen Tiere erlegt. In der ehemaligen DDR war die Gewinnung hochwertiger Hamsterpelze lange Zeit ein einträglicher Wirtschaftsfaktor.

Hamsterfeindliche Wahlkampf-Parolen
Die Zeiten änderten sich. Inzwischen landete der Feldhamster wie so viele einheimische Arten auf der Roten Liste und genießt deshalb den Schutz der Bundesartenschutzverordnung sowie der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Sein Ruf hat sich indes wenig gebessert.

Neuerdings gelten die Tiere als Gefahr für das Wirtschaftswachstum. Feldhamster-Bauten bringen menschliche Bauvorhaben zum erliegen - so will es das Gesetz. Mancherorts wurden sogar Pläne blockiert, bevor ein eindeutiger Hamster-Nachweis vorlag. Im letzten Wahlkampf um den NRW-Landtag ging die CDU mit hamsterfeindlichen Parolen auf Stimmenfang. So kommen die Tiere erneut zu einem massiven Image-Problem.

Auch als 2001 in Mannheim eine neue Mehrzweckhalle am Ostrand der Stadt - auf einer Wiese mit Hamsterlöchern - entstehen sollte, wurde die ursprüngliche Planung geändert und erforderliche Parkplätze flächensparend in Blöcken untergebracht. Dazwischen gelangen die Nager an die Oberfläche. Gleichzeitig startete die Stadtverwaltung ihr "Hamsterförderprogramm " - dessen Kernstück das Heidelberger Zuchtprojekt ist.

Hamster-Attacken auf Hunde, Pferde und Mähdrescher
Nummer 722020 ist soeben erwacht. Das ausgewachsene Männchen streckt sich gemächlich und trottet zum Fenster seines Glaskäfigs. Neugierig hebt er den Kopf. Seine Ohren sind noch zusammengefaltet, wie bei schlafenden Hamstern üblich. So wirkt Nummer 722020 gnadenlos putzig - ein Eindruck, den Ulrich Weinhold sofort korrigiert. "Das sind keine Streicheltiere", erklärt er mit einem verschmitzten Lächeln. "Feldhamster sind sehr wehrhaft."

Sobald sie sich bedroht fühlen, pusten die Tiere ihre Backentaschen auf und versuchen mittels Fauchen und Zähneklappern den Gegner in die Flucht zu schlagen. Bei einem Angriff spielt die Größe des Kontrahenten keine Rolle: Es wurden schon Feldhamster beobachtet, die Hunde, Pferde und sogar Mähdrescher attackierten. Erfolgreicher jagen Hamster Feldmäuse, häuten sie und nagen sie bis auf die Knochen ab.

Kannibalismus und Geschlechterkampf
Sogar Kannibalismus ist belegt, was bei der Zucht rasch zum Problem wird. Draußen suchen die Tiere nur kurzfristig Nähe, um sich zu paaren. Zuchthamster in diesem Moment der Bereitschaft zusammenzubringen ist entscheidend, sonst kommt es zum blutigen Geschlechterkampf.

Zur Zeit beherbergt das in einer stillen Ecke des Heidelberger Zoos stehende Häuschen 43 Hamster. Zuchtziel für 2006 sind 60 Jungtiere. Ab 2007 will Ulrich Weinhold jährlich mindestens 30 Tiere im Gelände um die Mannheimer Mehrzweckhalle auswildern und hofft auf gute Überlebensraten seiner Schützlinge.

Um in Zukunft mehr wilde Feldhamster und weniger Probleme mit einzelnen Populationen zu haben, werden auch im Elsass und in den südlichen Niederlanden ähnliche Programme betrieben. Am Stadtrand von Braunschweig gelang die komplette Umsiedlung einer 38-köpfigen Hamstersippe.

Und wo Vorkommen begleitet werden, raten die Wissenschaftler zur Aussaht von Luzernen, einer bei Feldhamstern sehr beliebten Futterpflanze - damit sich die robusten Gesellen nicht endgültig geschwächt vom Acker machen.

Spiegel - Meldung vom 13.5.2006

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